Vor dem Ministerium: Gruppenbild mit Ministerin und allen JSW-Schülern aus Gyönk und Isny:
Fotos: Gerald Hühner
Das publizistische Ergebnis des Interviews erscheint im Juni in der JSW-Projektzeitung
"Népszabadság" in ungarischer Sprache (25.11.2002); es erschien bereits in der
NEUEN ZEITUNG - Ungarndeutsches Wochenblatt - (25.April 2003):
"Ungarn kehrt nach Europa zurück, dahin, wo es hin gehört!"
JSW-Interview mit der Kultusministerin Landes Baden-Württembergs, Dr. Anette Schavan
Franziska ist ungefähr ein Jahr alt. Sie übt gerade alleine laufen. Auf dem langen Flur,
wo wir sie mit ihrer Mutter treffen, ist das sehr gut möglich. Aber was macht das
Kind eigentlich hier? Eigentlich arbeitet hier nämlich Dr. Anette Schavan (48), seit
1995 Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg. Die Ministerin ist mit uns verabredet,
aber hat noch einen Termin. So erfahren wir am 3.April 2003 zuerst, welch offene,
familienfreundliche Atmosphäre in diesem Ministerium in Stuttgart herrscht.
Als die Ministerin dann kommt begrüßt sie zuerst Franziska, dann uns, jeden einzeln
mit Handschlag: Bevor das eigentliche Gespräch losgeht, bewirtet uns Frau Schavan
mit Getränken und Sandwichs.
Und wie kommen wir überhaupt hierhin? Wir sind Schüler des Projekts
"Jugend-Schule-Wirtschaft (JSW)", 5 aus Gyönk und 5 aus Isny, unserer Partnerschule
im Allgäu, mit unseren Lehrern Timea Horváth, Gerald Hühner (Gyönk) und
Gerhard Kimmerle (Isny). Unser Gyönker Projektlehrer Gerald Hühner hatte aus Gyönk um
das Interview gebeten und unsere Projekte vorgestellt. Und die Ministerin sagte zu.
Denn sie hält viel von diesen Projekten, ZiS, JSW und Chat:
"Ich kann Ihnen nur gratulieren, Sie haben gleichsam das große Los gezogen mit einem
solchen Projekt! In vielerlei Hinsicht wissen wir, dass solche Projekte heute pädagogisch
wichtig sind, weil ganz anders gelernt wird als rein theoretisch im Unterricht, Sie
erleben den Anfang der Arbeit mit und können wirklich gestalten, selbständig arbeiten.
Zweitens halte ich es im Sinne von deutsch-ungarischer, europäischer Verständigung für
einen wichtigen Schritt, denn auch das kann man nicht theoretisch, sondern nur gemeinsam
praktisch tun, dabei lernt man sich kennen, unterschiedliche Traditionen und Biographien,
das ist der beste, der wegsamste Weg, um Europa für ihre Generation und die nächsten
Generationen zu gestalten. Jedes Projekt, in dem Jugendliche aus unterschiedlichen
Ländern etwas gemeinsam tun, ist ein Projekt der Friedenssicherung, der Völkerverständigung
und ich vermute, es macht auch noch großen Spaß."
Von Ungarn ist die Ministerin begeistert: "Wenn ich an Ungarn denke, habe ich sofort die
Bilder von 1989 vor meinem geistigen Auge, als Ungarn die Grenzen geöffnet hat für Deutsche
aus der DDR. Das sind für mich Bilder, die ich in meinem ganzen Leben nie vergessen werde.
Das war ein ganz großer Durchbruch, eine ganz wichtige Station auf dem Weg zur deutschen
Einheit und damit auch auf dem Weg eines größeren zusammenwachsenden Europa. Zweitens denke
ich an ein Land, das in der Mitte Europas liegt. Wie es ein Politiker aus Ungarn einmal
gesagt hat: Ungarn wird nach Europa zurückkehren, da, wo es hingehört. Und deshalb gibt
es über den Beitritt Ungarns zur EU ja auch überhaupt keinen politischen Streit in
Deutschland."
Und wie Sehen Sie die Beziehungen zwischen Ungarn und Baden-Württemberg auf
kulturellem/bildungspolitischem Gebiet?
"Das sind sehr enge und freundschaftliche Beziehungen zwischen Bildungseinrichtungen,
Hochschulen, auch jetzt mit interessanten Neugründungen, dann gibt es viel Austausch
auf kulturellem Gebiet, nicht zuletzt mit Blick auf die große Gruppe der Deutschen in
Ungarn. Und ich erinnere mich als ein äußeres Zeichen an den Donaugipfel, an dem der
ungarische Ministerpräsident, der österreichische Bundeskanzler, die Ministerpräsidenten
von Bayern und Baden-Württemberg vor wenigen Jahren auch noch einmal öffentlich gemacht
haben, wie viel sie verbindet, wie viel sie auch im zusammenwachsenden Europa gemeinsam
arbeiten wollen, und da spielen Bildung und Kultur eine zentrale Rolle."
Was kann Schule/Unterricht/ Bildung bei der Vorbereitung auf die Osterweiterung der
EU leisten?
"Der beste Weg ist die Begegnung, quer durch die Generationen, ganz besonders in der
jungen Generation. Begegnung ist der beste Weg zur Verständigung. Was die Schule betrifft,
so denke ich da an Schulpartnerschaften, an Schüleraustausch und natürlich wird für die
Verständigung dann auch wichtig sein dass wir überall in Europa das Lernen der
Fremdsprachen fördern , möglichst früh so dass diese letzte Barriere, die Sprachbarriere,
dann auch immer mehr abgebaut werden kann."
Was ist im Bildungssystem im Hinblick auf die europäische Integration insgesamt als größte
Aufgabe zu tun?
"Die größte Aufgabe ist vermutlich die, künftigen Generationen einen Eindruck zu vermitteln
von der Geschichte, der Kultur, der Identität Europas, von damit verbundener Vielfalt.
Europa, wie wir es uns vorstellen, ist ein Europa starker Regionen mit einer Vielfalt an
Besonderheiten, Traditionen, aber eben auch in aller Vielfalt der Regionen verbunden in
einer europäischen Tradition. Das wäre etwas ganz tolles, wenn es uns gelingen würde z.B.
ein Schulbuch im Blick auf Kultur und Geschichte zu haben, das in allen Ländern dieser
Gemeinschaft eingesetzt wird, so dass es einen gemeinsamen Fundus gibt, denn ein wissen
über die Geschichte Europas, über die Kultur und über das Wertefundament das zur Identität
Europas gehört."
Unser Projekt "Jugend-Schule-Wirtschaft" wird in Deutschland und Ungarn durch die Deutsche
Bank Stiftung finanziert: Was halten Sie davon, wenn Sponsoren schulische Arbeit
unterstützen? Wird dies/sollte dies zunehmen?
"Ja! Uneingeschränkt: Ja! Denn die Aufgabe von Bildung und Ausbildung ist ja nicht
allein Sache des Staates. In der beruflichen Bildung haben wir ja sehr viel Engagement
der Wirtschaft. Ich glaube, dass gerade bei solchen Projekten Sponsoren wichtig sind.
Deshalb wird das, glaube ich, eher mehr werden und damit vieles an Projekten möglich,
was eine einzelne Schule nicht leisten könnte."
Frau Ministerin, herzlichen Dank für dieses besondere Interview!
Anett Jagicza/Anett Lekner
JSW-AG, Gyönk