25./26. März 2000

Über den Wolken


Fußball und Fliegen in Ungarn


Fritz Walter, Ferenc Puskás: 2 Namen. Und man weiß Bescheid: 1954 ist Ungarn Vizeweltmeister im Fußball geworden. Mit Puskás als Starstürmer war das "ungarische Wunderteam" bis dahin ungeschlagen. Ein Höhenflug des ungarischen Sports. Und fast die ganze Nation hob mit ab. Dann das WM-Endspiel gegen die Deutschen, die man in der Vorrunde hoch geschlagen hatte. Die Deutschen führen mit einem Tor und am Ende hätten wir fast ausgeglichen. Doch der portugiesische Schiedsrichter läßt das Tor nicht gelten; er meint, es sei Abseits gewesen. (Eine Aufzeichnung dieser Szene existiert leider nicht!) Dann der Schlußpfiff: 3:2 für Deutschland. Ungarn geschockt. Ein Sturz aus allen Wolken. Und wie man in Deutschland heute noch über 1954 jubelt - Günter Grass, Nobelpreistäger für Literatur, macht dieses Fußballspiel zum entscheidenden Ereignis des Jahres 1954 in seinem Buch "Mein Jahrhundert -, blieb dieses Spiel bis heute ein ungarisches Trauma. Noch in den 90er Jahren schrieb der auch in Deutschland bekannte Autor György Dalos einen langen Essay darüber; manche glauben, der Verlust des 1954er Finales war ein Grund für die ungarische Revolution von 1956: Fußball lieferte keine Ersatzbefriedigung mehr. Sportlich sind wir heute bescheiden geworden. Leider ist der ungarische Fussball international gesehen seit diesem Ereignis nur noch auf Anfänger-Niveau. Selbstverständlich spielen viele Ungarn in Deutschland, aber wir hier in Ungarn haben seitdem keine richtige Freude mehr am ungarischen Spiel. Zwar leisten ungarische Sportler immer noch Außergewöhnliches: Auf die Landesgröße bezogen staubt Ungarn bei Olympiaden die meisten Medaillen ab. Und unsere Frauen mit ihrem sechsten Sinn für den Handball geben den Deutschen regelmäßig Nachhilfeunterricht in diesem Sport. Aber das alles ist kein Grund für nationalen Jubel. Gründe zum "Abheben" gibt es aber privater Art. Dazu gehört, was man in Deutschland wohl kaum weiß, auch in Ungarn das Segelfliegen. Wer aber über den Wolken schweben möchte, hat mit typischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Wie im Fussball, so fehlt auch beim Segelfliegen das Geld. Ich bin selbst Pilot in einem Club, deshalb weiß ich, was dort vorgeht. Das ungarische Segelfliegen hat Tradition. Sehr viele Rekorde sind von Ungarn aufgestellt worden, wie der Höhen-Rekord von Iván Jaszlics vom 19. März 1966 mit 11.580 m; oder der Weiten-Rekord von Sándor Áldott von 1963 mit 781,1 km. Leider wurden die meisten dieser Rekorde in den USA aufgestellt, weil diese Menschen hier in Ungarn zu dieser Zeit noch keine Gelegenheiten zum Fliegen hatten: Sie durften nicht. Zu einer bestimmten Zeit gab es dann jedoch stattliches Geld, um das Segelfliegen zu finanzieren. Das ist heute leider nicht mehr so. Damals war es noch ein Beruf, Segelflugzeug-Pilot zu sein. Heute ist es nur ein Hobby, das aber sehr teuer ist. Da kommen alte Piloten zu uns und erzählen alte Geschichten, wie sie ihren ersten Alleinflug bewältigt haben, oder wie sie 5 Stunden in der Luft verbrachten, um "Rank D" zu erreichen. Heute ist alles in Privatbesitz, auch die Fulghäfen in Ungarn. Und das Problem ist, daß manche Leute, die so einen privatisierten Flughafen gekauft haben, ihn vielleicht gar nicht mehr als Flughafen benutzen wollen. Das grösste Problem ist aber, dass uns der Staat heute nicht mehr finanziert. Es wurden jedoch Clubs gegründet, die das Unternehmen mit eigenen Mitteln versuchen. In Ungarn werden übrigens auch Segelflug-Wettbewerbe veranstaltet. Und manche davon sind auch international bekannt. Dazu kommen viele Menschen aus verschiedenen Ländern - wie auch aus Deutschland -, um hier in Ungarn zu fliegen. Sie sagen, daß hier die Bedingungen recht gut seien. Ich selbst mag das Fliegen, weil es wunderschön ist, man verschiedene Leute kennenlernt und es ein schönes Gefühl ist, einfach mal wegzufliegen. Und für den Ausländer, der sich in den ungarischen Himmel begibt, zeigt sich wieder: Unser Land hat mehr zu bieten als Puszta, Paprika und Piroschka. (Doch leider keinen Puskás mehr.)

Balázs Batári
Gábor Genszler
AG Zeitung in der Schule
Gymnasium Tolnai Lajos
Gyönk/Ungarn


Bitte lächeln: Nach der eben erhaltenen Fluglizenz stellt sich Autor Balázs Batári in Öcsény mit seinem Vater dem Fotografen. Foto: Privat



ZEITUNG IN DER SCHULESamstag, 27. Januar 2001
 Bayern Seite 64 / Deutschland Seite 64 / München Seite 64

Hier dreht sich alles um die Handball-Kugel

Zu Besuch bei „Dunaferr“ – einem europäischen Spitzenclub aus Ungarn / Spielerinnen im Interview

Bereits mit zehn Jahren fing sie an, nicht nur Leichtathletik zu treiben, sondern auch Handball zu spielen. Sie arbeitete systematisch und konsequent. Bald stellten sich auch internationale Erfolge ein. 1995 der Höhepunkt: Neben dem Franzosen Jackson Richardson wird sie zur besten Handballerin der Welt gewählt. Erzsébet Kocsis, für viele nicht nur ein sportliches, sondern auch ein menschliches Vorbild.

Nach der Beendigung ihr aktiven Karriere ist sie heute technische Leiterin ihres Vereins „Dunaferr“, des größten Sportclubs in Ungarn. Wir besuchen sie dort in Dunaújváros, südlich von Budapest. Profis vieler Sportarten haben hier ideale Trainingsmöglichkeiten. So kommt auch der Olympiasieger im Turnen an den Ringen, Szilveszter Csollánny von hier. Und selbstverständlich die erfolgreichste Handballmannschaft des Landes.

Und genau in diesem Verein begann Erzsébet Kocsis mit 23 Jahren ihre große Karriere; feierte hier auch nach hartem Training die größten Erfolge. So wurde sie unter anderem bei einer Europa-Meisterschaft in Deutschland zur besten Spielerin des Turniers gekürt. Besonders daran denkt sie häufig und gerne zurück. Und nach all ihren großen Erfolgen hat sie sich nach der Olympiade von Atlanta 1996 und dem Finale der Champions-League entschlossen, „auf dem Höhepunkt ihrer Karriere“ vom aktiven Sport Abschied zu nehmen. Dies fiel ihr „ziemlich schwer“, denn es bedeutete auch, einen wichtigen Teil ihres Lebens zu verlieren. Jedoch kein Abschied vom Handball. Als technische Leiterin hält sie ständigen Kontakt zu den Spielerinnen, mit denen sie einst um Medaillen kämpfte. Außerdem setzt sie sich stark für die Jugendförderung ein. Erzsébet Kocsis weiß, wie früh man mit dem Sport beginnen muss, um Spitzenleistungen zu bringen.

Dies gilt auch für Judit Simics und Beatrix Balogh. Die Profis von „Dunaferr“ haben täglich harte Trainingseinheiten zu absolvieren; außerdem jede Woche ein bis zwei Trainingsspiele. Vor der Saison müssen sie zur Stärkung ihrer Kondition Gewichte stemmen und auch schwimmen. Dies bildet die Grundlage für erfolgreiche Wettkämpfe.

Für Simics und Balogh hat sich die „Schinderei“ gelohnt. Beide spielten in der ungarischen Nationalmannschaft, die bei der Olympiade in Sydney die Silbermedaille gewann: „Hier wurde ein Traum wahr. “ Natürlich war das Ziel die Goldmedaille, aber das Endspiel war für sie „das schwerste und spannendste Spiel der Olympiade“. Leider ging es für Ungarn verloren. Doch „für solche Wettkämpfe lohnt es sich, hart zu arbeiten“, meint Judit Simics. Zur Zeit arbeiten die Profis hart an den Vorbereitungen zur Europa-Meisterschaft in Rumänien, die im Dezember 2000 stattfinden wird. Doch „die Olympiade bedeutete viel mehr, als die Europa-Meisterschaft, weil man hier gegen afrikanische und asiatische Mannschaften antreten konnte“.

Nun will aber Judit Simics ihre Karriere bald wegen ihrer Familie aufgeben, doch für Beatrix Balogh ist es noch längst nicht vorbei mit dem Handball, denn sie hat sich vorgenommen, auch bei der nächsten Olympiade mitzumachen. Profi-Sport in Ungarn ist also attraktiv und erfolgreich. Verglichen mit der Einwohnerzahl gewinnt Ungarn die meisten Medaillen bei olympischen Spielen. Und außerdem verdient man auch in unserem Land nicht schlecht dabei.

Kein Wunder, dass wir nicht nur als Journalisten aufmerksam zuhören. Schließlich gehören die Handballer unseres Gymnasiums seit Jahren wieder zu den besten acht Ungarns. Ihr Leser in Kiel, Magdeburg, Gummersbach oder Lemgo: Achtet mal darauf!

Und das Beste zum Schluss: Bei der Handball-Europameisterschaft verlor Deutschland gegen Ungarn am 9. Dezember mit 22:33. Leistungsträgerin bei Ungarn: Judit Simics, „Dunaferr“.


Réka Fekete/Bea Kemler

Leila Kurucz/Martin Tóth

Gymnasium Gyönk/Ungarn

Die Jugendförderung liegt ihr am Herzen: Erzsébet Kocsis (Mitte), Welthandballerin des Jahres 1995, mit ZISlern aus Gyönk.

Foto: Gerald Hühner, Gyönk



ZEITUNG IN DER SCHULE Samstag, 14. April 2001
  Bayern Seite 48 / Deutschland Seite 48 / München Seite 48

Am rechten Ohr das linke Bein, am linken Ohr ein Handy:

Der unermüdliche Herr der Ringe

Szilveszter Csollány, ungarischer Olympiasieger in Sydney, trainiert auch während des ZiS-Interviews munter weiter

Eine riesige Halle, darin nur Spiegelwände und Sportgeräte, die Temperatur liegt bei 25 Grad Celsius. Und dann, fast kaum zu finden, ein einsamer, kleiner Mann, in dickem Anzug und mit schwarzen Handschuhen – beim Stretching. Man denkt, dass Sportler – besonders Olympiasieger – körperlich groß und stark sein müssen. Aber der, der hier gerade trainiert, ist wirklich nicht größer als wir. Er ist zwar ein kleiner Mann, aber aus der Nähe betrachtet delta-förmig gebaut, ein Modellathlet mit starken Muskeln und großen Taten. Es ist der König der Ringe: Szilveszter Csollány, Olympia-Sieger von Sydney im Ringe-Turnen.

Wer erfolgreich sein will, der muss früh aufstehen. Das gilt für Olympia-Sieger. Und auch für die Reporter von „Zeitung in der Schule“. Also sind wir bereits um 5 Uhr früh auf den Beinen, um ein Interview mit diesem berühmten Sportler zu machen. Denn Szilveszter Csollány hat keinen „Leerlauf“. Er antwortet auf unsere Fragen, ohne sein Training zu unterbrechen. Zwischendurch macht er Termine: Das linke Bein hinter dem rechten Ohr, am linken Ohr ein Handy. Und nach unserem Gespräch wartet auf ihn bereits das nächste Interview: mit dem Fernsehen.

Bei so viel Erfolg in Sport und Medien könnte man meinen, einen arroganten, egoistischen Star zu treffen. Aber Csollány redet nicht zu uns vom Olymp herab: Er bleibt „auf der Matte“. Und obwohl er der Beste in der Welt an den Ringen ist, fragt er immer wieder seinen Trainer um Rat, wie die letzte Übung war. Er trainiert und trainiert, macht jede misslungene Übungen noch einmal.

Aber das ist auch klar, weil die Ringe sein Leben sind. Und das schon seit langer Zeit: Seine Karriere beginnt im Jahre 1975, er ist gerade mal sechs Jahre alt. Seit 1987 ist er Profi, lebt also vom Sport. Seitdem errang er kleinere und größere Siege, der große Durchbruch kam für ihn dann im Jahr 2000 mit der begehrten Goldmedaille in Sydney. Trotzdem findet er aber, dass nicht der Olympiasieg, sondern seine Ausdauer sein größter Erfolg sei.

Ein sehr selbstbewusster Typ also, der auch kein bestimmtes Vorbild hat. Vorbild sind für ihn all die Leute, die für ihre Ziele alles tun. Und er wusste genau, dass er für den Olympiasieg alles getan und deshalb die besten Chancen hatte. Als er Kind war, träumte er nie davon, einmal Olympiasieger zu werden. Aber er trainierte zweimal pro Tag, sogar noch in Sydney. So hatte er auch keine Zeit, die Olympiastadt zu besichtigen. Und er „war dort faul“ – wie er meint: „Ich hatte keine Lust, andere Sportarten anzuschauen.“ Selbstverständlich fühlte er sich nach seinem Sieg „einfach toll“. Und feierte seine Goldmedaille mit einer typischen Csollány-Party: In seinem Zimmer, mit ein paar Bekannten. Und Mineralwasser. Natürlich ganz ohne Kohlensäure!

Szilveszter Csollány schaut immer nach vorn und nicht zurück. Deshalb ist er auch müde, immer noch über Olympia befragt zu werden. Und so schleppt er seine Goldmedaille für uns in einer Plastiktüte heran und erlaubt, uns damit fotografieren zu lassen: „Da, bitte schön!“, sagt er lapidar.

Meist reden erfolgreiche Menschen gern und viel über ihre früheren Erfolge, sind mit sich ganz zufrieden. Csollány aber konzentriert sich immer auf die Zukunft, kämpft immer für ein aktuelles Ziel. Und wenn das erreicht ist, setzt er sich ein neues. Jetzt gerade bereitet er sich auf viele Wettbewerbe vor: Den Welt-Cup in Paris, die nächste Olympiade in Athen. Vor allem aber will er endlich einmal Weltmeister werden; das war er noch nie. Und bei jedem Wettbewerb stellt er eine neue Übungsserie vor. „Das muss sein: Mit meiner Kür von Sydney könnte ich heute schon nicht mehr gewinnen.“

Und sein Alltag? Jeden Tag zweimal Training, jeweils etwa zwei Stunden. Nebenher Termine und sein Studium. Da bleibt kaum Zeit für seine kleine Familie. Und trotzdem denkt er nicht, dass ihm der Profi-Sport Nachteile brachte, dass er auf etwas für ihn Wichtigeres verzichten musste. „Ich bekam vom Sport mehr als ich geben musste.“

Als König der Ringe wird man eben nicht geboren. Und bleibt nur mit harter Arbeit auf dem Thron. Aber es ist fantastisch, diesem Monarchen persönlich zu begegnen!

Réka Fekete/Leila Kurucz

Eva Vereckei

Noemi Veres

Gymnasium Gyönk

Ungarn


Bildunterschrift:

Nur Interview? Nein, zugleich macht Csollány auch Termine per Handy.

Er macht sich warm mit Stretching-Übungen, er zieht sich aus, er bandagiert seine Unterarme und hört nicht auf zu Reden: Szilveszter Csollány, der rastlose Olympia-Sieger an den Ringen.


Fotos/2: Gerald Hühner

 

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