Ein ungarischer Staatspräsident zum Anfassen:
"Nennt mich wie
alle: Onkel Árpád"
Árpád Göncz spricht mit Gyönker Schülern
über den Kosovo-Krieg und Zeitung in der Schule
"Nennt mich wie alle: Onkel Árpád." - Nicht irgendwer
antwortet so auf die Frage, wie wir ihn ansprechen müssen. Und auch
nicht irgendwo! Es ist der 28.Mai 1999: Wir befinden uns in einem Festsaal
des ungarischen Parlaments; sonst findet hier zum Beispiel die Verleihung
staatlicher Auszeichnungen statt. Doch heute gibt es für uns ein Treffen
mit dem Staatspräsidenten; und der gibt sich offen, spontan, herzlich.
Zunächst aber müssen wir warten. Es ist kurz nach der verabredeten
Zeit: Ein älterer Herr, freundlich lächelnd, betritt den Saal,
entschuldigt sich, fragt, ob wir noch 3 Minuten warten könnten: "Der
Außenminister ruft gleich an. Nehmt schon mal was zu trinken. Oder
auch etwas mehr!"
Árpád Göncz: Nervosität kommt bei so einem
Gesprächspartner kaum auf. Er ist den Kontakt mit Jugendlichen
offensichtlich gewöhnt. Und hier begegnet uns kein Berufspolitiker,
sondern ein Mensch, der uns seine politische Einstellung vorlebt: Freundlichkeit,
Ausgleich von Gegensätzen, Humanität, Toleranz. 1922 geboren
hat er in Ungarn andere Erfahrungen gemacht, nämlich mit Faschismus
und Kommunismus. Von 1957 - 1963 sitzt er im Gefängnis. Dort lernt
er Englisch, arbeitet später als Übersetzer und Schriftsteller.
1990 wird er der erste demokratische Präsident der Republik Ungarn.
Er beschreibt uns seinen Arbeitsalltag, der kaum Freizeit übrig läßt.
Und mit Ironie erzählt er von den Fahrten in seiner präsi-dialen
Wagenkolonne.
Sieht er heute seine Ziele erreicht? "Das einer friedfertigen, aufgeklärten
ungarischen Gesellschaft nicht absolut." "Zur Zeit ist es aber auch die
Außenpolitik, die die Innenpolitik bestimmt." Denn das wichtigste
Thema ist jetzt gerade der Kosovo-Krieg, in dem Ungarn eine besondere Rolle
spielt. Einerseits als Nato-Mitglied, andererseits als Nachbarland Serbiens,
wo eine große ungarische Minderheit lebt. Und so sieht der
Präsident die Pflicht, "daß wir nach dem Krieg Serbien in Freundschaft
die Hand reichen und zurück nach Europa führen." Wann Ungarns
EU-Beitritt erfolgen wird, kann er nicht sagen; nur: "Je früher desto
besser. Je länger sich der Beitritt verzögert, um so weniger
wissen wir, was auf uns zukommt. Denn die EU und Ungarn entwickeln sich
nicht im gleichen Tempo."
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn seien allerdings "längst
über den Status bloß formaler Kontakte hinaus. Ein gutes Beispiel
ist doch dafür Euer Projekt mit der Süddeutschen Zeitung. Und
in der SZ ist Eure ungarische Sicht der Dinge doch deshalb so interessant,
weil Ihr eine Kraft habt, die daraus resultiert, daß Ihr aus der
Provinz kommt, einer Provinz, in der Ungarn und Deutschstämmige zusammenleben
-, übrigens kommt auch alle wirklich große Literatur aus der
Provinz!" Leider sei so ein Projekt mit ungarischen Zeitungen noch nicht
möglich, da diese "nicht so politisch unabhängig sind. Und so
hilft Euch die SZ, Eure Meinung frei und unverfälscht weltweit zu
äußern. Gäbe es ein solches Projekt mit einer hiesigen
Zeitung, dann wären die ungarischen Medien wirklich erwachsen geworden."
So sieht unser Staatspräsident in uns "die erste Generation in
Ungarn, die sich wirklich in zwei Kulturen bewegt." Dieser Tag im Budapester
Parlament ist dafür das beste Beispiel: Wir ungarischen Jugendliche
führen, durch unseren deutschen Gastlehrer vermittelt, ein Interview
mit unserem ungarischen Staatspräsidenten, und das für die Süddeutsche
Zeitung. Und Arpád Göncz sieht sogar gute Chancen für
eine Zugabe: Vielleicht werden wir ihn auch bei der Frankfurter Buchmesse
im Oktober, bei der er Eröffnungsredner sein wird, treffen und befragen
können.
Nach dem einstündigen Gespräch gibt der Staatspräsident
unserer ganzen ZiS-Gruppe sogar noch eine exclusive Führung: Durch
sein Büro und den nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglichen
"Munkácsy- Saal". Manche von uns nimmt er in den Arm, erklärt
die prächtigen Wandgemälde, einzelne Szenen und Figuren. Dann
noch ein kurzer Gang auf den Balkon, von dem aus man auf die Donau und
das gegenüberliegende Ufer mit der Burg, der Matthiaskirche und der
Fischer-Bastei blicken kann.
Zum Abschied dankt er aufrichtig "für den schönen Tag mit
Euch: Es wäre schön, wenn Profi-Journalisten so gute Fragen stellen
würden!" Und dann gratuliert Árpád Göncz unserem
Projketleiter Gerald Hühner herzlich zu dieser Arbeit.
Man sieht: "Zeitung in der Schule" in Gyönk ist ein europäisches
Projekt. Auch deshalb will unser Staatspräsident bei der großen
Gyönker "SZ-Party" im November dabeisein. - "Wenn kein anderer Staatspräsident
dazwischenkommt!"
Zsuzsi Bankós; Bálint Farkas; Zsuzsi Hum; Bea Kemler;
Viki Prémusz
AG Zeitung in der Schule
Gyönk/Ungarn
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1.GRUPPENBILD MIT PRÄSIDENT: Die Gyönker ZiS-Gruppe
mit Projektlehrer
Gerald Hühner (sitzend 1.v.l.) nach dem Interview
beim "Familienfoto".
Photo: Maria Tóth
2.IN EINEM FESTSAAL des ungarischen Parlaments empfing
Göncz
die Schüler, sprach über die Beziehungen zu
Deutschland, den Kosovo-Krieg
und ZiS.
Photo: Gerald Hühner
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NACH DEM INTERVIEW nahm der Staatspräsident
die Schüler in
den Arm, gab eine exclusive Führung.
Photo: Gerald Hühner
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